Die Elstercon 2022 – „(N)irgendwo und (N)irgendwann – Utopie und Humor“ – Ein Rückblick voraus

Seit nunmehr 30 Jahren gibt es die Elstercon (https://www.elstercon.de) des Freundeskreis SF in Leipzig (https://www.fksfl.de) . Grob alle zwei Jahre lädt der Verein nationale und internationale Autorinnen und Autoren, Forschende, Denkende, Enthusiasten und Fans ein, im Umfeld Science Fiction zu einem Thema vorzutragen, Vorgetragenes zu genießen und zu diskutieren.

Dieses Jahr vom 16.-18. September 2022 fand die 16. Elstercon in Leipziger Haus der Literatur zum Thema „(N)irgendwo und (N)irgendwann – Utopie und Humor“ statt. Es war meine erste Elstercon und mit ca. 150 Teilnehmern und einer Menge illustrer Gäste – Jasper Fforde, Matha Wells, Ben Aaronovitch, Theresa Hannig, Isabella Hermann und Dietmar Dath, um nur ein paar zu nennen – fühlte die Elstercon sich an wie ein Fest unter Freunden.

Von Freitagnachmittag, bis Sonntagmittag waren die Tage gut gefüllt mit Lesungen, Diskussionen und Vorträgen, die die Themen Science Fiction, Utopie und Humor in weiten Zügen umkreisten.

Poster der 16. Elstercon 2022 - (N)irgendwo (N)irgendwann - Utopie und Humor
Poster der 16. Elstercon
(mit freundlicher Erlaubnis von Mario Franke)

Ein trauriger Anlass zu Beginn

Aus gegebenem Anlass begann die Elstercon allerdings mit einem traurigen Beitrag noch vor der eigentlichen Eröffnung mit einem ergreifenden und detailreichen Nachruf von Hans Esselborn auf seinen Freund, den österreichischen Physiker, Science Fiction Autor, Pionier der Computerkunst und Futurologen Herbert W. Franke (http://www.herbert-w-franke.de/), der am 16. Juli verstorben war.

Daran schloss sich ein digitaler Rückblick auf die letzten 30 Jahre Elstercon in Form von Impressionen aus den Veranstaltungen seit 1992 an. Beinduckend welche nationalen und internationalen Gäste über die Jahre da waren George R. R. Martin und Thomas M. Disch, um nur zwei zu nennen.

An dieses Panoptikum der Autoren und Autorinnen der Vergangenheit schloss sich eine fullminante Eröffnung und Einleitung in das Thema dieses Jahres von Boris Koch (https://www.boriskoch.de) und Carsten Steenbergen (https://www.carsten-steenbergen.de/) an, die alle vortragenden Gäste kurz vorstellten. Der Anschließende Vortrag von Arnulf Meifert mit dem Titel der Elstercon „(N)irgendwo (N)irgendwann“ bot einen detailreichen und humorigen Ritt durch die Geschichte des utopischen Denkens.

Schon der erste Tag war angefüllt mit geistreichen Vorträgen und Gesprächen rund um die Themen, die an dieser Stelle nur gestriffen werden können. Da war eine Diskussion mit Leo Lukas (https://de.wikipedia.org/wiki/Leo_Lukas), österreicherischer Perry Rhodan-Autor, Kriminalschriftsteller und musikalischer Kabarettist, der zur späteren Stunde auch noch eine Kostprobe seines neuen Buches und Könnens bot. Oder ein Exkurs von Dietmar Dath (https://de.wikipedia.org/wiki/Dietmar_Dath) in die Welt der Science Fiction, ein Beitrag von Lucy Guth (https://de.wikipedia.org/wiki/Lucy_Guth alias von Tanja Bruske) zu „Frauen im Perryversum“ und eine Lesung aus seinen Kurzgeschichten von Uwe Post (https://upcenter.de, https://www.deutsche-science-fiction.de).

Die wahren Schätze stehen nicht im Programm

Was jede gute Convention auszeichnet ist die Möglichkeit auf spannende Gespräche mit Teilnehmern, Vortragenden und Gäste.

Wie es der Zufall wollte, hatte ich gerade im Zug auf dem Weg nach Leipzig das Science Fiction Fan Zine „!Time Machine“ aus dem Wurdack Verlag mit seinem wunderbaren Artikel „Gral, Fake oder Vision? Künstliche Intelligenz in der Realität und der Science Fiction“ von Udo Klotz gelesen (http://wurdackverlag.de/produkt/time-machine-ausgabe-5/) und konnte mich gleich in Person bei dem Autor und seinem Mitherausgeber Christian Hoffmann für den Artikel und das Magazin bedanken.

Da das Programm recht eng und dicht getaktet ist, kommt man nicht umhin den einen Vortrag oder die andere Paneldiskussion zu verpassen, wenn man sich in dem gut ausgestatteten und gemütlichen Bistro des Literaturhauses, der Raucherecke vor der Tür oder im Nachgang in der Hotelbar mit anderen Conventionbesuchern verquatscht.

Da ich die Gelegenheiten dazu genutzt habe, endlich mal wieder mit leibhaftigen menschlichen Wesen zu sprechen, konnte ich viele anregende Gespräche mit vielen spannenden Menschen führen.

Der ivfsf auf der Elstercon und viele Gespräche

Dabei ging es nicht zuletzt um die Themen, den Sinn und Zweck des Interessenverband Fantasy und Science Fiction ivfsf (https://www.ivfsf.de), dessen Gesicht ich auf der Elstercon war. Mit einem Roll-Up in kräftigem Gelb und entsprechenden Flyern, machte ich Werbung für die Sache des ivfsf. Zusätzlich gingen die Diskussionen aber auch um Fragen der Wissenschaftskommunikation und SF im Kontext des Klimawandels, die mögliche Bedeutung von fantastischen Utopien für unsere Zukunft oder Star Trek, Babylon 5, Battlestar Galactica, Firefly oder Star Wars.

Ein besonderes Vergnügen war es Dr. Isabella Hermann (http://www.popular-political-science.org) endlich leibhaftig kennenzulernen, die eine unserer frühen Mitglieder beim ivfsf ist, die ich bisher nur online in Postkartenformat kennenlernen durfte.

Dr. Isabella Hermann und Sascha Pogacar vor dem Rollup des ivfsf.
Dr. Isabella Hermann und Sascha Pogacar vor dem Rollup des ivfsf.

Genauso werde ich nie die fröhlichen und spannenden Diskussionen mit Klaudia Seibel von der Phantastische Bibliothek Wetzlar (http://www.phantastik.eu/) und ihrem Mann Ralf vergessen, die eine große Freude waren.

Der Freitagnachmittag war dicht, der Samstag opulent

Der Samstag war auf der Elstercon noch viel dichter aufgefüllt und opulent bestückt mit Lesungen und Diskussionen, wobei ich hier natürlich nur die streifen kann, die ich selbst erlebt habe.

Bettina Wurche (https://meertext.eu/), ihres Zeichens Biologin und Wissenschaftsjournalistin hielt einen überaus informativen und anregenden Vortrag über „Kim Stanley Robinsons Klima-Zukünfte – Climate Fiction und Klimakrise“, worauf ich mich im Anschluss mit ihr und Uwe Post in eine anregende Diskussion über die Möglichkeiten von Science Fiction und der Wissenschaftskommunikation im Zeichen der Klimakrise begab, die eine Vielzahl spannender Ideen gebar, die als Keimzellen nun gehegt und gepflegt werden müssen, damit sie überhaupt gedeihen und das Licht der Welt erblicken können.

Sehr erwähnenswert, freundlich und charmant war die Lesung und der Vortrag von Jasper Fforde (https://de.wikipedia.org/wiki/Jasper_Fforde), der freimütig über seine Genese vom Möchtegern-Filmemacher und faktischem Kameramann zum tatsächlichen Autor beschrieb. Zumindest seine Buchreihe um die Buchagentin (in einem ganz anderen Sinne) Thursday Next, kann ich aus eigener Erfahrung nur wärmstens empfehlen.

Die Beiträge weiterer Autorinnen und Autoren – unter anderem Martha Wells, Ben Aaronovitch, Theresa Hannig oder Emma Braslavsky – durfte ich Dank interessanter Gespräche und spannender anderer Vorträge und Lesungen leider verpassen.

Die „temporäre Verschiebung“, mit der man gleichzeitig an mehreren Orten sein kann und die jeweiligen Erlebnisse behält, weil man ja ein und dieselbe Person (aus verschiedenen Zeiten) ist, müsste tatsächlich mal zur Marktreife gebracht werden (eine Idee, die vielleicht Rudy Rucker gefallen könnte).

Nach Utopie und Dystopie die Anti-Dystopie

Zum Glück durfte ich den Vortrag „Dystopie? Utopie? Anti-Dystopie!“ von der Politologin Dr. Isabella Hermann erleben, die ein aktuelles Gefühl der Zeit auffing, dass nicht nur bei der Elstercon zu spüren ist. Anbetracht der Erlebnisse der Zeit (Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, Klima- und Energiekrise, etc.) sehnen sich die Menschen nach Perspektiven auf eine positive Zukunft und nicht die ziemlich weit verbreiteten negativen Bilder von Morgen.

Gleichzeitig existiert aber auch eine Skepsis den „klassischen“ Utopien gegenüber, die eher ein hermetisches Bild einer möglichen positiven Welt zeichneten, die aus heutiger Perspektive sogar ein wahres Grauen wären (Beispiele wären hier: „Neu Atlantis“ von Francis Bacon, „Der Sonnenstaat“ von Tomasso Campanella, „Utopia“ von Thomas Morus oder „Politeia“ von Platon). So nennt Dr. Isabella Hermann ihren „Kampfbegriff“ eines offenen Nachdenkens über eine andere Welt: „Anti-Dystopie“.

Viele weitere Gespräche, Lesungen und Diskussionen könnte ich hier nur aufzählen, wie das viel zu kurze Gespräch mit Hardy Kettlitz vom Verlag Memoranda (https://www.memoranda.eu/), das noch fortgesetzt werden wird oder auch dasjenige mit Ivo Schwarz und Constanze Hoffmann von der MetropolCon (https://www.metropolcon.eu/).

Der Sonntagvormittag rundete die Elstercon ab

Der Sonntagvormittag war noch einigen Vorträgen, Lesungen, aber nicht zuletzt Autorengesprächen gewidmet, bei denen man die Autorinnen und Autoren noch einmal hautnah erleben und mit Fragen löchern durfte.

Oft sind es auch die kleinen Splitter und Ideen, die bei der Fülle von vielen anderen zurückbleiben und den Wert einer solchen Veranstaltung ausmachen, so ist es z.B. das Wortspiel „Science/Fiction“, dass so viel für mich von dem ausdrückt, was wir für eine lebenswerte Zukunft von der Phantastik benötigen.

Erzählungen erfordern eine kohärente Geschichte und den Versuch alles in glaubwürdige Zusammenhänge zu bringen. Die Wissenschaft erfordert dieses Denken ebenso. Allerdings besteht sowohl bei dem Geschichtenerzählen und der Wissenschaft (oder ihrer jeweiligen Wahrnehmung und Rezeption) die Gefahr, sich in ihre eskapistischen Anteile und Details zu verlieben und den Blick auf das Wichtige im Großen und Ganzen zu verlieren.

Bei einem Autorengespräch mit Matha Wells, sagte eine junge Frau am Tisch „das andere Normal ist wichtig“, in Bezug auf das Ver- und Behandeln queerer Themen in der Phantastik. Sie drückte, meiner Meinung nach, damit etwas aus, was für so viele drängende Themen unserer Zeit gilt und was die tatsächliche Aufgabe einer „progressiven Phantastik“ oder „Anti-Dystopie“ beschreibt: das mögliche Andere einer wünschenswerten Zukunft als einen „normalen“ Hintergrund darzustellen, greifbar und erlebbar zu machen.

Voller Vorfreude auf die nächste Elstercon

Zu guter Letzt bleibt mir nur noch den Organisatoren und Machern der Elstercon zu danken, die dieses Schmuckstück-Event realisiert haben, stellvertretend nenne ich hier nur Thomas Braatz, seine Familie und Mario Franke, bedanke mich aber aufs herzlichste bei allen Helferinnen, Helfern, Gästen, Teilnehmern, Fans und den Organisatoren der Büchertische, die es mir gestattet haben, wieder viel mehr Bücher mitzunehmen als für meine Regale gut ist.

Zuletzt möchte ich noch auf den Reader der Elstercon 2022 hinweisen, 514 Seiten softcover angefüllt mit Rezensionen, Biographien, Essays und Geschichten, der bei dem Freundeskreis SF zu bestellen ist, neben auch anderen Readern vergangener Elstercons. (http://www.elstercon.de/page70/contact-form-2/index.php)

Ich wünsche euch allen eine wundervolle Zeit und hoffe auf ein Wiedersehen auch der nächsten Elstercon in hoffentlich zwei Jahren (oder jeder anderen Gelegenheit).

Cover des Readers der 16. Elstercon 2022 - (N)irgendwo (N)irgendwann - Utopie und Humor
Cover des Readers der 16. Elstercon
(mit freundlicher Erlaubnis von Mario Franke)

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