Rollenspiel mit Sehbehinderung

Mich fragen immer wieder Menschen, wie ich denn Pen & Paper spiele, obwohl ich doch fast nichts mehr sehe. Meine Antwort darauf ist immer, dass ich mir ein paar Tricks angeeignet habe im Laufe der Zeit und dass ich ja nie allein am Spieltisch bin. Immer wieder gebe ich auf Twitter Tipps dazu. Auch auf meinem privaten Blog habe ich bereits einen längeren Artikel zu dem Thema verfasst (Rollenspiel mit Sehbehinderung – Norberts fantastische Ecke (wordpress.com) und mit dem Youtube-Kanal „HitDice“ habe ich ein Video dazu aufgenommen (Blindheit und Rollenspiel | Grenzen, Möglichkeiten und Wünsche | Inklusion im Rollenspiel – YouTube).

Aber meine Sehbehinderung ist nicht die einzige Beeinträchtigung mit der wir uns manchmal konfrontiert sehen. Und meine Tricks sind auch nicht allumfassend. Das wurde mir gerade vor kurzem wieder bewusst, als auf Facebook ein Mitglied der Gruppe „Rollenspieler“ einen Beitrag mit der Frage nach einem Austausch gestellt hat. Darunter waren weit mehr Antworten als ich mir erwartet hatte. Diese Vielzahl an Antworten und auch die unterschiedlichen Themen haben mich dazu veranlasst auch hier über die ivfsf.de Seite einen solchen Austausch anzuregen.

Meine Beeinträchtigung

Aufgrund eines genetischen Defekts namens Retinitis Pigmentosa stirbt meine Netzhaut seit meiner Jugend langsam, manchmal auch schubweise und dabei schneller, ab. In meiner Jugend hat sich das vor allem in Nachtblindheit und einem langsamen Reaktionsvermögen meiner Augen ausgedrückt. So durfte ich zum Beispiel nie den Autoführerschein machen, was in den Tiroler Bergen durchaus eine große Hürde darstellt. Später wurde ich Amateurfotograf, musste das Bearbeiten der Bilder irgendwann aber lassen, weil meine Augen dafür nicht mehr gut genug waren. Auch beim online Zocken (ich war WOW-Fan) mussten mir andere Spieler öfter beim Finden von Wegen helfen. Vor allem bei dunklen Dungeons, oder generell bei dunklen Spielen war das für mich sehr schwierig.

Schließlich verlor ich im Winter 2015/2016 so viel Sehkraft, dass ich meine Arbeit nicht mehr ausführen konnte und mein Leben sich drastisch änderte. Ich konnte nicht mehr schnell eine Schokolade kaufen gehen, oder ins Kaffeehaus oder Schwimmbad gehen – zumindest nicht ohne Hilfe. Und das hat sich auch auf mein Lieblingshobby, das Pen & Paper Rollenspiel, ausgewirkt. Ich konnte Bücher nicht mehr lesen, Würfel und Battlemaps nicht mehr erkennen.

Meine Techniken

Diese Techniken habe ich mir erarbeitet, die durchaus auch anderen mit Retinitis Pigmentosa helfen könnten. Manche davon sind für andere Sehbeeinträchtigungen ebenfalls praktikabel, manche auch für komplett blinde Menschen. Aber diese Techniken können leider nicht überall und allen Betroffenen helfen.

Computer-Grundeinstellung

Als erstes habe ich meinen PC mittels Windows High Contrast auf Schwarz/Weiß umgestellt. So sehe ich jetzt gerade vor mir einen schwarzen Bildschirm mit weißen Buchstaben. Je nach Vergrößerung im Word sehe ich entweder Buchstaben oder eine länger werdende weiße Linie. Für das Internet verwende ich Edge, welches den Hohen Kontrastmodus auf die meisten Websites überträgt. Es gibt zwar Mängel, aber bisher ist das die beste Lösung. Auch manche Programme übernehmen automatisch den Kontrastmodus, zB Discord, Signal, Audible, Zoom, Microsoft Office und noch manch andere.

Screenreader

Ich verwende die Software Zoomtext Magnifier Reader. Dieses Programm kann mir Texte vorlesen, hat eine einfache Zoomfunktion und erlaubt mir per Tastendruck die dargestellten Farben zu ändern. Zum Beispiel funktioniert mein SW-Modus nicht bei PDFs, dafür brauch ich Zoomtext. Diese Software ist ein spezielles Hilfsmittel und kostet leider recht viel. Es gibt aber auch kostenfreie Screenreader im Internet, zum Beispiel NVDA. Sollte Zoomtext zu teuer sein, empfehle ich allen: sucht den nächsten Blindenverband auf, denn die kennen sich auch mit Förderungen und kostengünstigen Alternativen aus.

Blinden- und Sehbehindertenverband

Ich habe den für meine Gegend zuständigen Blinden und Sehbehindertenverband aufgesucht und dort einige nützliche Tipps und Werkzeuge bekommen. Zum Beispiel habe ich einen Stift und viele Sticker. Diese Sticker haben einen Code, der vom Stift gelesen wird. Beim Einlesen des Codes kann ich eine Audioinformation aufnehmen. Beim nochmaligen Darüberfahren erkennt der Stift den Code und spielt die entsprechende Audioinformation ab. So habe ich meine über 50 Battlemaps markiert und kann sie nun ohne weitere Hilfe unterscheiden.

Spieltisch

Am Spieltisch verwende ich immer ein Notebook. Charakterbögen oder Planungen liegen immer als Word-Dokumente vor, denn das kann ich am ehesten noch sehen oder kann es mir einfach vorlesen lassen. Normale Charakterbögen verwende ich am Spieltisch keine mehr, weil das immer nur eine Quälerei ist.

Für das Würfeln am Tisch habe ich mir große Würfel (Durchmesser 3 cm) in schwarz mit weißen großen Zahlen bzw. Augen gekauft. Ich habe aber derzeit nur W20 und W6 in dieser Form, die anderen Wx würfel ich am Laptop mithilfe einer App. Ich habe auch eine Handyapp (kostenlos) bei der mir das Ergebnis dank Voice Assistant sogar vorgelesen wird. Damit ich meine Würfel erkenne, würfel ich direkt in eine kleine dunkle Würfelarena und beleuchte diese Arena mit einem USB-LED-Licht.

Es gibt aber auch Braille-Würfel. Die Dateien zum selber Drucken findet man im Netz, man braucht nur jemanden, der oder die einen 3D-Drucker hat und das machen kann. Andernfalls kann man auf www.dotsrpg.org nachschauen, die sollten mittlerweile Würfel zum Verkauf anbieten. Das DOTS RPG Project arbeitet daran Rollenspiel für blinde Menschen zugänglicher zu machen.

Ich verwende Battlemaps und wenn ich sie auslege, dann lass ich mir von meinen Spielern erklären, was sie sehen. Bei dieser Erklärung werden Orte benannt und alle wissen was gemeint ist, wenn ich später zum Beispiel sage: „Der Gegner läuft auf den Hof hinaus.“ Außerdem werden bei der Erklärung Richtungen festgelegt. Das sind dann nicht Norden, Süden, usw., sondern die Richtungen werden mit den Spielernamen betitelt, die ja um den Tisch rumsitzen. Damit haben wir eine sehr gute Kommunikationsbasis und verstehen einander viel schneller. Die Figuren lasse ich von meinen Spielern bewegen.

Virtueller Spieltisch

Bei online Gruppen verwende ich als Spielleiter Roll20, da der (neue) Dark Mode mich voll unterstützt und vor allem bei DnD sehr gut funktioniert. Bei manchen Systemen wird der Dark Mode nicht auf den Charakterbogen übernommen, aber da habe ich bemerkt, dass ich mit der Tabulatortaste von Feld zu Feld springen kann und der Screenreader mir die Felder vorliest. Das funktioniert bei Der Schatten des Dämonenfürsten und bei Barbarians of Lemuria. Leider funktioniert das nicht bei allen Systemen so gut, aber ich hoffe, dass auch zum Beispiel Warhammer Fantasy und DSA5 noch beizeiten einen Kontrastmodus bei den Charakterbögen bekommen.

Als Battlemaps für meine Spieler verwende ich immer schwarze Karten und zeichne weiße Linien darauf. So habe ich zwar keine bunte Battlemap, aber jeder Spieler kennt sich aus und kann alle taktischen Elemente einer Battlemap nutzen.

Als Spieler bitte ich des Öfteren den Spielleiter meinen Token zu „Shiftpingen“ (Maustaste lang drücken und dabei die Shift-Taste gedrückt halten), weil das meinen Sichtbereich auf der Battlemap auf meinen Token zentriert.

Bei Fantasy Grounds gibt es ein Design für sehbeeinträchtigte Menschen namens „hearth“. Das muss der DM einstellen und es gilt dann für alle. Es funktioniert, ist aber für sehende nicht besonders schön.

Bei Foundry tue ich mich meistens etwas schwer. Ich hab dort Abenteuer in Mittelerde, Star Wars, Genesys, Pathfinder, Numenera, Broken Compass und Savage Worlds gespielt. Nur Star Wars hat einen (für mich) schönen Schwarz-Weiß Modus, mit dem ich super zurechtkomme. Aber es gibt ein Modul namens „Token Action HUD“, welches am oberen Rand des Karten-Bildes eine Leiste mit den Fähigkeiten des Charakters einblendet. Wenn das Modul richtig eingestellt ist, dann muss ich den Charakterbogen, der leider nicht mein Schwarz/Weiß übernimmt, nicht mehr öffnen.

Wie auch auf der Battlemap am Spieltisch, lasse ich online meinen Token von einem Mitspieler oder der Spielleitung bewegen.

Miteinander reden

Der wichtigste Tipp, den ich geben kann, ist miteinander zu reden. Es ist für die MitspielerInnen meistens kein Ding, wenn eine/r kurz auf den Charakterbogen einer blinden Person schaut, der Person sagt, welchen Bonus oder Malus sie hat und ihr dann das erwürfelte Ergebnis vorliest. Am Spieltisch etabliert sich das sehr schnell als normale Vorgehensweise.

Online muss man als blinde Person gelegentlich darauf aufmerksam machen, dass man nichts davon hat, wenn die SpielerInnen „da hin“ gehen oder die Spielleitung nur einen Abschnitt auf einer Karte öffnet und nichts dazu sagt. Aber aus Erfahrung weiß ich, dass es zwar öfter einer Erinnerung bedarf, aber MitspielerInnen und SpielleiterInnen ihre Beschreibungen dann auch immer ausführlicher und für eine blinde Person nachvollziehbar machen.

Oft sind Menschen mit einer Beeinträchtigung zu scheu, um etwas zu sagen. Das ging mir auch lange so. Aber meine Erlebnisse und oft positiven Feedbacks haben mir gezeigt, dass andere Leute leichter mit meiner Behinderung umgehen können, wenn ich sie offen anspreche. Wenn ich versuche alles selber zu machen, mich dabei total schwertue und keine Hilfe erbete oder zulasse, dann tut sich auch mein Umfeld schwer damit, mir zu helfen. Aber in dem Moment, in dem ich um Hilfe bitte, bekomme ich diese auch. Und mir ist oft aufgefallen, dass die Leute gerne helfen und es nicht als Belastung oder Hindernis ansehen einen blinden Spieler dabei zu haben.

Eure Erfahrungen

Das waren nun einige meiner Techniken, die ich im Laufe der Jahre entwickelt habe. Diese beziehen sich auf meine Sehbeeinträchtigung und sind nicht allumfassend. Deswegen bitte ich euch, schreibt mir doch eure Erfahrungen als beeinträchtigte Person oder eure Erfahrungen mit beeinträchtigten Personen. Erzählt mir was ihr so erlebt habt und welche Techniken ihr gesehen, erlernt oder entwickelt habt. Ich werde eure Informationen dann in einem weiteren Artikel veröffentlichen, damit alle von unseren Erfahrungen profitieren können.

Schickt mir eure Erfahrungen, Wünsche, Anregungen einfach per mail an norbert.moesl@ivfsf.de.

/nm

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